X-RAY
X-RAY
X-RAY
Die Macht des Röntgenblicks
Gebläse- und Verdichterhalle Weltkulturerbe Völklinger Hütte
9. November 2025 – 16. August 2026
X-RAY ist die erste Ausstellung überhaupt, die sich dem Phänomen der Röntgenstrahlen und den umfassenden kulturellen und künstlerischen Aspekten des Röntgenblicks widmet. Innerhalb kürzester Zeit hatte sich ab Ende 1895 die Erfindung der neuen, ins Unsichtbare vordringenden Strahlen weltweit verbreitet und einen Sturm der Begeisterung bei Physikern, Medizinern und einem interessierten Publikum entfesselt. Nach dem Fund am 8. November 1895 versandte Wilhelm Conrad Röntgen Sonderdrucke in fünf Sprachen mit einer genauen Beschreibung seiner Versuchsanordnung, so dass in unzähligen, gleich ausgestatteten Labors von Buenos Aires über Wien, St. Petersburg, Calcutta bis Melbourne die Erzeugung der Strahlen und Bilder von durchleuchteten Objekten wiederholt wurden. Der von einem Tag zum anderen berühmt gewordene Forscher verzichtete auf die Patentrechte, was für die Verbreitung der wundersamen Strahlen ausgesprochen förderlich war – und ihm 1901 den ersten Nobelpreis für Physik einbrachte.
Lange wusste man nicht, wie das Phänomen zu erklären ist. Röntgen und einige Kollegen sprachen von longitudinalen Wellen des Äthers. Erst Jahrzehnte später, 1948, entdeckte man die von Röntgen mit X bezeichneten Strahlen in der Sonne und erst 2003 konnten sie in Blitzen nachgewiesen werden.
Die Röntgenstrahlen sind das spektakulärste Ergebnis einer Suche nach dem Unsichtbaren um 1900. Spekulative Vorläufer in den Jahrzehnten davor zeigen, dass der Wunsch danach weit verbreitet war. In einer Geschichte von Kurd Laßwitz, dem Begründer der deutschsprachigen Science-Fiction, entwickelt ein Privatgelehrter das Diaphot, eine Substanz, die den Körper transparent macht. 1892 erschien unter dem Pseudonym Philander der Roman „Elektra“. Daraus stammt der vielzitierte Wunsch eines Landarztes: „Ach... wenn es doch ein Mittel gäbe, den Menschen durchsichtig zu machen wie eine Qualle.“
Im Jahr der Entdeckung der Röntgenstrahlen 1895 verwendet Sigmund Freud erstmals den Begriff „Psychoanalyse“, mit welcher er in die Tiefenschichten der Träume und des Unbewussten vordringen wird.
Ebenfalls 1895 wird der erste kommerzielle Film im Bioskopformat in Berlin aufgeführt, schon 1897 führt G.A. Smith in seinen Kurzfilm „X-Rays“ mit einem Liebespaar als Protagonisten Kino und Röntgenstrahlen spielerisch zusammen. In eben dieser Zeit entdecken Bakteriologen eine bis dato unbekannte „Lebensform“: die Viren. Eros, Techne (griech. für Kunst, Wissenschaft, Technik) und Thanatos sind von Anbeginn fundamental mit dem Röntgenblick verbunden.
Die Ausstellung X-RAY zeigt u.a. das weite Spektrum der Röntgentechnik und ihrer Anwendungen von frühen Laboraufbauten und Röntgenbildern über das Pedoskop, mit dem man ab 1920 die passenden Schuhgrößen ermittelte, bis hin zu Röntgen-Satelliten wie eROSITA, die heute schwarze Löcher sowie Galaxien im Weltraum erforschen. Ob Nah- oder Fernsicht, im Zentrum steht immer die Durchleuchtung von unbelebter wie belebter Materie. Ikonisch wird der Röntgenblick im „Gläsernen Menschen“, entwickelt Ende der 1920er Jahre vom Deutschen Hygiene-Museum Dresden, der den komplexen Aufbau des menschlichen Körperinneren exemplarisch sichtbar werden lässt.
Die bildgebenden Verfahren der Röntgentechnik haben sich immer mehr verbessert (CT u.a.). Bei Untersuchungen wird die Strahlenbelastung heute so gering wie möglich gehalten. Während die Radiologie zur immer wieder weiterentwickelten Routine geworden ist, zeigen sich kulturelle Akteur:innen bis in die Gegenwart in unterschiedlichster Weise von diesem Phänomen fasziniert.
Die kreativen Mittel der weltweit aktiven Künstler:innen, die Werke durch Röntgenstrahlen, mit Röntgenbildern oder inspiriert vom Röntgenblick geschaffen haben, reichen vom Einsatz originaler Röntgenbilder, die zugeschnitten, übermalt, durch unterschiedliche Materialien und Farben bearbeitet, ergänzt und collagiert werden, über digitale Vergrößerungen, die als Vorlagen für Glasfenster verwendet werden, bis hin zu grafischen Simulationen des Phänomens. Radiologische Motive tauchen als Teilstücke in Gemälden, Skulpturen und Grafiken auf. Totenschädel als Vanitas-Motiv und Skelette setzen die lange Tradition des Memento Mori und Totentanzes auf ganz eigene Art fort.
Röntgenbilder zeichnen sich als Bildträger durch Verfremdung, schattenhaften Entzug der dreidimensionalen Räumlichkeit, metaphorisch durch das Sichtbarmachen des Unsichtbaren und verborgener Strukturen aus, also durch eine Abkehr von der traditionellen, realistisch-mimetischen Wiedergabe der Wirklichkeit. Auch deshalb wird dieses Medium, entwickelt an der Schwelle zum 20. Jahrhundert, zum Kennzeichen moderner Kunst.
Besonders deutlich wird der Verzicht auf das gewohnte Menschenbild, wenn, beginnend mit Meret Oppenheim, Röntgenaufnahmen von Schädeln als Selbstporträts vorgestellt werden. Erst unter der Oberfläche zeigt sich die individuelle (oder gerade überindividuelle) Identität.
Der Einfluss der Röntgenbilder reicht jedoch weit über die bildende Kunst hinaus. Die radiologische Ästhetik erstreckt sich von Architektur über Mode und Werbung bis hin zu Karikaturen und Comics. Röntgenbilder finden sich als das Leben und den Alltag durchdringende Zitate in der Literatur (Marcel Proust, Franz Kafka, Jirí Wolker, Thomas Mann, Durs Grünbein u.v.a.m.) und werden werkbestimmend in Film und Fernsehen (Adventures of Superman, 1952, X-Ray-Eyes, 1963, Smallville, 2001-2011, Superman Returns, 2006, Apples, 2020, u.a.m).
DER AUSSTELLUNGSPARCOURS
Der Ausstellungsparcours versammelt in einer Erlebnislandschaft inmitten der historischen Gebläsemaschinen u.a. ein frühes Röntgenlabor, eine Röntgen-Kapelle von Wim Delvoye, Kinoräume, die X-Ray-Filme zeigen, einen Catwalk mit X-Ray-Mode, einen Schuhladen mit Pedoskop und Skeleton X-Ray Shoes, ein Satelliten-Modell im Luftraum der Gebläsehalle und manches mehr. Die Ausstellung richtet sich an ein größtmögliches Publikum, indem sie den weiten Bogen von der Wissenschaft zur Kunst mit ebenso fesselnden wie lehrreichen Einblicken verbindet.
DIE KAPITEL DER AUSSTELLUNG IM KURZÜBERBLICK
Nach einer Einführung in das Thema der Sichtbarmachung des Unsichtbaren aus historischer wie physikalischer Sicht, sekundiert von Leonardo da Vinci und einer eigens für die Schau realisierten Bildabfolge des Graphic Novel Autors Jens Harder, folgt die Frühgeschichte um 1900 mit einer Nachempfindung von Wilhelm Conrad Röntgens Forschungslabor. Ob früher Film oder Musik, alles reagiert sofort elektrisiert auf den Open Access-Ansatz von Röntgen, der weltweite Siegeszug des Röntgenblicks kulminiert im ersten Nobelpreis für Physik überhaupt.
Der maßgebliche Anteil der zweimaligen Nobelpreisträgerin Marie Curie am Einsatz und der Mobilisierung der Röntgentechnik wird im Kapitel Radiologie im Ersten Weltkrieg vorgestellt. In den 1920er-Jahren inkorporiert der „Gläserne Mensch“ die so noch nicht gekannte Transparenz des Menschen. Die Durchleuchtung des Körpers spiegelt sich in der Durchleuchtung der Seele via Kunst und Literatur, namentlich bei Edvard Munch, Jirí Wolker, Thomas Mann und Frida Kahlo.
Nach diesem chronologischen Einstieg werden die darauffolgenden Themen diachron quer durch das Jahrhundert verhandelt. Auf der kleinen Spielfläche ist Intimität ein zentrales Thema bei der Durchleuchtung von Koffern wie Körpern. Religion und Tabubruch treffen auf Genderfragen. Dreh- und Angelpunkt ist hier die 10 x 5 Meter große, für Besucher:innen betretbare Kapelle von Wim Delvoye aus dem Mudam Luxemburg.
Der Politik ist ein großes Kapitel gewidmet: Es vereint Karikaturen durchleuchteter Macht, Dokumente der Zivilcourage ebenso wie Zeugnisse von Unterwerfung und Haltung. Das Dritte Reich und die DDR sind ebenso präsent wie das koloniale und postkoloniale Südafrika. Der Übergang zur Musik geschieht fließend mit politischer Subversion von Raubpressungen auf Röntgenbildern für die Sowjetunion, gefolgt von einem Plattenladen voll radiologischer Kreativität. An die X-RAY Konzeptwerkstatt schließen sich Archäologie, Kultur- und Kunstgeschichte mit ihren je eigenen Röntgen-Erkenntnissen an, ferner Naturwissenschaft und Medizin.
Bis zu 10 Meter lange Panoramen der Natur und Technik rahmen die große Spielfläche, die mit dem Kapitel Architektur und einem begehbaren Labyrinth aus transparenten Backsteinwänden ebenso aufwartet wie mit einem Catwalk der Röntgen-Mode und einem Schuhladen mit historischen Pedoskopen und aktuellen Schuhkreationen.
An und auf der Stirnwand der großen Spielfläche werden dann die Mikro- sowie Makrowissenschaften erlebbar: von der Materialforschung zum Weltraumteleskop und dessen Erkundung schwarzer Löcher und Galaxien mittels Röntgenstrahlung. In der Verdichterhalle geht es mit ausgewählten Positionen der Kunst aus Moderne und Gegenwart um den großen Themenkomplex Existenz, Identität, Tod und Ewigkeit, während im Kinosaal der Verdichterhalle die stärksten Filme zu X-RAY sichtbar werden.
A-Z DER AUSGESTELLTEN AKTEUR:INNEN (Work in progress)
Michael Apted (1941, UK) Jean-Michel Basquiat (1960-1988, US) Renate Bertlmann (1943, AT) Cris Bierrenbach (1964, BR) Christoph Brech (1964, DE) Claude Cahun (1894-1954, FR) Jaume Collet-Serra (1974, ESP) Roger Corman (1926-2024, US) Marie Curie (1867-1934, PL) Wim Delvoye (1965, BE) Thomas Demand (1964, DE) Agnes Denes (1931, HU) David Fincher (1962, US) Jean Paul Gaultier (1952, FR) Isa Genzken (1948, DE) Gilbert & George (1943, IT)/(1942, UK) Shan Gorshon (1957-2018, US) Andreas Greiner (1979, DE) Barbara Hammer (1948-2019, US) John Heartfield (1891-1968, DE) Iris van Herpen (1984, NL) Voluspa Jarpa (1971, CL) Frida Kahlo (1907-1954, MEX) William Kentridge (1955, ZA) Jürgen Klauke (1943, DE) Shahram Khosravi (1966, IRN) Hans Kupelwieser (1948, AU) Lynn Hershman Leeson (1941, US) Rosie Leventon (1946, UK) Danica Lundy (1991, CA) LuYang (1984, CN) Thomas Mann (1875-1955, DE) Remy Markowitsch (1957, CH) Alix Marie (1989, FR) Noelle Mason (1977, US) Ahmed Mater (1979, SAU) Christian Kosmas Mayer (1976, DE) Ana Mendieta (1948-1985, CU) Ludwig Mies van der Rohe (1886-1969, DE) Edvard Munch (1863-1944, NO) Meret Oppenheim (1913-1985, DE) Sir Eduardo Paolozzi (1924-2005, SCO/UK) Walid Raad (1967, LBN) Arie van’t Riet (1947, NL) Donald Rodney (1961-1998, US) Marija Teresa Rozanskaite (1933-2007, LT) Katharina Sieverding (1941, CZ) Tavares Strachan (1979, BHS) Olivier Theyskens (1977, NL) Nick Veasey (1962, UK) Paul Verhoeven (1938, NL) Ziquan Wang (1993, CN) William Wegman (1943, US) Horst Widmann (1938, AT) Jiri Wolker (1900-1924, CZ) Adam Zyglis (1982, US)
DER KATALOG
Das Katalogbuch X-RAY, herausgegeben von Ralf Beil und Thomas Zaunschirm, erscheint in deutscher sowie englischer Sprache im Sandstein Verlag, Dresden. Neben Essays von Ralf Beil, Ernst-Peter Fischer und Thomas Zaunschirm sowie weiteren Autor:innen versammelt die reich bebilderte Publikation Einführungstexte und Werkkommentare zu sämtlichen Kapiteln der Schau sowie literarisch-philosophische Quellentexte von 1895 bis heute.
X-RAY HINTERGRUNDNFORMATIONEN
X-RAY, realisiert auf der Basis eines Curatorial Studies-Seminar des Generaldirektors und Kurators Dr. Ralf Beil zum Thema im Wintersemester 2020 vor Ort in der Völklinger Hütte sowie mehreren Forschungsbänden mit umfassenden Materialübersichten von Prof. Dr. Thomas Zaunschirm, Wien, wird höchsten wissenschaftlichen Ansprüchen gerecht und wartet zugleich mit Bildern und Erkenntnissen auf, die Medien wie Publikum überraschen und faszinieren werden.
Die Völklinger Hütte, deren Gesamtanlage zum größten Teil im Zeitraum um und seit der Entdeckung der Röntgenstrahlen errichtet wurde und die einst zu Zwecken der Materialprüfung eigens einen Röntgenbunker hatte, bietet mit ihrer auratischen Gebläsehalle als Maschinenraum der Moderne und der angeschlossenen Verdichterhalle außergewöhnliche Rahmenbedingungen sowie ideale Präsentationsmöglichkeiten für ein ganz eigenes „Narrativ“ rund um das kunst- und kultur- sowie medizin- und geistesgeschichtlich bedeutsame Thema X-RAY.
Die Eröffnung von X-RAY findet am 8. November 2025 und damit genau 130 Jahre nach der erstmaligen bewussten Erzeugung der Röntgenstrahlen durch Wilhelm Conrad Röntgen statt.
X-RAY setzt auf ganz eigene Art und Weise die erfolgreiche Reihe der ambitionierten Themenausstellungen fort, die markant den Ruf des Weltkulturerbes Völklinger Hütte mit seinen fünf programmatischen Säulen INDUSTRIE, KULTUR, GESCHICHTE, KUNST und NATUR als Ausnahmeort der zeitgenössischen Kulturpräsentation prägen. Dazu gehört insbesondere die Trias der Großausstellungen THE WORLD OF MUSIC VIDEO (2022), DER DEUTSCHE FILM (2023/2024) und THE TRUE SIZE OF AFRICA (2024/2025).
Die höchst aufwändige Übersichtsschau wird neben Saartoto-Mitteln insbesondere durch das Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitales und Energie und dessen substantielle Leuchtturmförderung des Saarlandes 2025 ermöglicht.
X-RAY. Ausstellungsinformation
Download (docx | 63 KB)X-RAY. Förderung als Leuchtturmprojekt
Download (docx | 55 KB)Bilder
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Nick Veasey, Poker, 2020 © Nick Veasey
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Nick Veasey, The Fly away, 2024 © Nick Veasey
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Wim Delvoye Chapelle, 2006 (Detail) Glasmalerei und lasergeschnittener Cortenstahl, 480 x 960 x 610 cm, Commande et Collection Mudam Luxembourg, Musée d’Art Moderne Grand-Duc Jean, Erwerb 2004
© Rémi Villaggi / Mudam Luxembourg, VG Bild-Kunst, Bonn 2025 -
Arbeiten am Modell des Weltraumteleskops eROSITA Jeanette Dittmar und Hendrik Kersten, aus dem Projekt-Team des Weltkulturerbes, während der Arbeiten am Modell des Weltraumteleskops eROSITA für die Ausstellung X-RAY
© Leo Scheidt / Weltkulturerbe Völklinger Hütte -
Arbeiten am Modell des Weltraumteleskops eROSITA Jeanette Dittmar und Hendrik Kersten, aus dem Projekt-Team des Weltkulturerbes, während der Arbeiten am Modell des Weltraumteleskops eROSITA für die Ausstellung X-RAY
© Leo Scheidt / Weltkulturerbe Völklinger Hütte -
Das energiereiche Universum, gesehen mit dem Röntgenteleskop eROSITA Credit: Jeremy Sanders, Hermann Brunner and the eSASS team (MPE); Eugene Churazov, Marat Gilfanov (on behalf of IKI)
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Filmposter zum Film X: THE MAN WITH THE X-RAY EYES, 1963 © Public Domain
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Lynn Hershman Leeson, X-Ray Woman, 1966 © Collection Hartwig Art Foundation. Promised gift to the Rijksdienst voor het Cultureel Erfgoed / Rijkscollectie
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Arie van ’t Riet, X-Ray Mural, 2022, Detail Arie van’t Riet kreiert Röntgenstillleben von Tieren und Pflanzen und hat hunderte von ihnen zu einem großen Panorama zusammengefügt.
© Arie van ’t Riet -
Claude Cahun, Image of photomontage illustration from 'Aveux non Avenus', 1930 © Victoria and Albert Museum, London
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Röntgenuntersuchung mit dem Unipuls-Röntgenapparat, 1910 Quelle: Siemens Healthineers Historical Institute
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Orthodiagraphie am Klinoskop, um 1907 Quelle: Siemens Healthineers Historical Institute
Ansprechpartner

ArminLiedinger
Dr. Armin Leidinger
Kommunikation | Presse
Telefon: +49 (0) 6898 / 9 100 151
armin.leidinger@voelklinger-huette.org